GENTLEMAN
Kaum jemand will wirklich, dass dieses herausragende Individuum nur noch als Relikt einer vorhergehenden Epoche in „Es war einmal…“ Geschichten erscheint.
Ist es die Erinnerung an alte Filme, die uns nach der Begegnung mit einem solchen Menschen überkommt?
Ist es die Äußerlichkeit, die Oberfläche, die ein Gentleman uns schon allein durch seine Kleidung präsentiert, bei der er nichts dem Zufall überlässt?
Oder ist es womöglich das elektrisierende Gefühl, dass die Begegnung mit einem Gentleman in uns nachhaltig wirken lässt, weil wir durch sie bestenfalls ganz unverhofft entflammt wurden? Warum wirkt eine Begegnung mit einem so exotisch scheinenden Wesen in unserer Zeit so nachhaltig?
Zunächst einmal ist ein Gentleman reich an Gesprächskultur.
Durch seine aufmerksame Contenance hinterlässt er in uns einen wohligen Schauer, wirklich wahrgenommen worden zu sein. Das erreicht er unter anderem, indem er durch kleine interessierte Einschübe a la „Wie hat das auf Sie gewirkt?“ den Geschichten seines Gegenübers angemessenen Raum zur Entfaltung und Reflexion gewährt.
Ein herausragendes Merkmal ist wohl sein „sich Zeit lassen“. Auf einem Amt kann er genauso geduldig warten, wie auf die Zuwendung seiner aktuellen Herzensdame.
Sich seiner selbst bewusst, ohne jemals überheblich zu sein, sich nie der Masse anzuschließen und trotzdem höchst informiert und umfassend gebildet zu sein. Seinem Gegenüber stets das Gefühl gebend, der wichtigste Mensch zu sein und sich gleichzeitig keiner Instanz und schon gar nicht einem modernen Guru zu unterwerfen. Das alles sind Werte eines Gentlemans.
So, wie er sich jeglichen Radau verbietet, untersagt er sich aber auf der anderen Seite ebenso jede Form von Übertreibung.
Auch Fernando Pessoa, ein späterer portugiesischer Literat, brachte die Essenz eines solchen Lebensstils seinerzeit schon zur Sprache: „Ein Aristokrat ist derjenige, der nie vergisst, dass er niemals allein ist: deshalb sind Etikette und Protokoll Erbteil der aristokratischen Familien. Verinnerlichen wir den Aristokraten. Entreißen wir ihn den Salons und den Gärten und versetzen wir ihn in unsere Seelen und in unser Bewusstsein von unserer Existenz.“
Wer ist für Sie heute ein Gentleman?
Nie würde er sich selbst als Nabel der Welt sehen. So weiß er einerseits auch, dass seine Lebenskunst weder die Welt zum Guten ändern wird, andererseits ebenso keinen Einfluss auf ein verständnisvolleres Miteinander unterschiedlicher Kulturen hat.