GENTLEMAN


 

Was bewegt uns dazu, jemandem im 21. Jahrhundert den Stempel eines „Gentleman“ aufzudrücken?

Kaum jemand will wirklich, dass dieses herausragende Individuum nur noch als Relikt einer vorhergehenden Epoche in „Es war einmal…“ Geschichten erscheint.

Ist es die Erinnerung an alte Filme, die uns nach der Begegnung mit einem solchen Menschen überkommt?

Ist es die Äußerlichkeit, die Oberfläche, die ein Gentleman uns schon allein durch seine Kleidung präsentiert, bei der er nichts dem Zufall überlässt?

Oder ist es womöglich das elektrisierende Gefühl, dass die Begegnung mit einem Gentleman in uns nachhaltig wirken lässt, weil wir durch sie bestenfalls ganz unverhofft entflammt wurden? Warum wirkt eine Begegnung mit einem so exotisch scheinenden Wesen in unserer Zeit so nachhaltig?

Zunächst einmal ist ein Gentleman reich an Gesprächskultur.

Er versteht es perfekt, eine gelungene Konversation in Gang zu halten, indem er sich dem Gegenüber mit voller Aufmerksamkeit zuwendet. Denn er weiß, nichts ist schlimmer, als wenn jemand sofort alles versteht und dieses auch bekundet oder – noch schlimmer – das Thema des Gegenübers sofort in sein eigenes wandelt.

Durch seine aufmerksame Contenance hinterlässt er in uns einen wohligen Schauer, wirklich wahrgenommen worden zu sein. Das erreicht er unter anderem, indem er durch kleine interessierte Einschübe a la „Wie hat das auf Sie gewirkt?“ den Geschichten seines Gegenübers angemessenen Raum zur Entfaltung und Reflexion gewährt.

Seine Charakteristiken

Ein Gentleman zeichnet sich aus durch
Toleranz | Contenance als Inbegriff einer in sich ruhenden Existenz | Melancholie aufgrund seiner historischen Bildung | einen nüchternen Blick gepaart mit aufmerksamer Beobachtung aller Facetten menschlicher Regung | Unempfänglichkeit für extreme Positionen| ausgereiftes Understatement

Seine Charakteristiken
In den literarischen Werken der vergangenen Jahrhunderte tauchen immer wieder ähnliche Charakteristiken seiner Protagonisten auf
Ein Gentleman ist eine zeitlose Erscheinung, die weder nur einer bestimmten Epoche angehörte, noch gegenwärtig ausgestorben ist.

 

Ein herausragendes Merkmal ist wohl sein „sich Zeit lassen“. Auf einem Amt kann er genauso geduldig warten, wie auf die Zuwendung seiner aktuellen Herzensdame.

Sich seiner selbst bewusst, ohne jemals überheblich zu sein, sich nie der Masse anzuschließen und trotzdem höchst informiert und umfassend gebildet zu sein. Seinem Gegenüber stets das Gefühl gebend, der wichtigste Mensch zu sein und sich gleichzeitig keiner Instanz und schon gar nicht einem modernen Guru zu unterwerfen. Das alles sind Werte eines Gentlemans.

So, wie er sich jeglichen Radau verbietet, untersagt er sich aber auf der anderen Seite ebenso jede Form von Übertreibung.

Die Italiener waren schon vor Jahrhunderten Meister des genussvollen Umgangs zwischen den Geschlechtern und dadurch der Lebenskunst eines Gentlemans öfter als andere Völker zugeneigt. Dass jemand dazu nicht zwingend adliges Blut in sich fließen haben musste, bewies nicht zuletzt schon Giacomo Casanova in seinem Umgang mit Frauen.

Auch Fernando Pessoa, ein späterer portugiesischer Literat, brachte die Essenz eines solchen Lebensstils seinerzeit schon zur Sprache: „Ein Aristokrat ist derjenige, der nie vergisst, dass er niemals allein ist: deshalb sind Etikette und Protokoll Erbteil der aristokratischen Familien. Verinnerlichen wir den Aristokraten. Entreißen wir ihn den Salons und den Gärten und versetzen wir ihn in unsere Seelen und in unser Bewusstsein von unserer Existenz.“

Wer ist für Sie heute ein Gentleman?

Nie würde er sich selbst als Nabel der Welt sehen. So weiß er einerseits auch, dass seine Lebenskunst weder die Welt zum Guten ändern wird, andererseits ebenso keinen Einfluss auf ein verständnisvolleres Miteinander unterschiedlicher Kulturen hat.