Morten Harket


ein Sonntag im Januar.

Während es in Norwegen an diesem Morgen noch dunkel ist, haben mich, 1500 Kilometer weiter südlich, bereits die ersten Sonnenstrahlen geweckt. Meine Gedanken ließen mich wie sooft nach einem Ihrer Alben greifen um, begleitet von Ihrer Stimme, einen neuen Tag zu begrüßen. Die ersten Flocken des Jahres rieseln dabei bedächtig vor meinem Fenster, während Sie einmal mehr etwas von „Caribbian Sea“ singen; so stark, so klar, so verführerisch.

Während hier der Schnee durch die Lüfte wirbelt, haben vermutlich viele Menschen in unseren Breitengraden Sehnsucht nach der Karibik. Doch nicht die allererste Assoziation geht dabei mit nordisch geprägter Melancholie einher. Wenn Sie jedoch davon singen, ist sie verlässlich präsent. Wie ein unsichtbar gespanntes Seil zieht sie sich durch alles, was Sie besingen.

All Ihre Songs habe ich schon Hunderte Male gehört. Doch den Funken der Ekstase, den viele Künstler oftmals nur bei der ersten Offenbarung ihres neuen Werkes auszulösen vermögen, der hinterlässt bei Ihren Songs beständig einen schwer löschbaren Flächenbrand. Sie schaffen es, mich immer wieder schweben zu lassen. Das Verblüffende dabei ist, dass die Emotionalität beim dreißigsten Mal des Hörens noch viel stärker ist als bei der Premiere eines neuen Songs.

Es gibt sie also doch noch, die verlässlichen Dinge im Leben.

Ihr Gesang gehört für mich seit drei Jahrzehnten dazu.

Noch bevor ich Sie zum ersten Mal auf der Bühne erleben konnte, hörte ich Sie mit viel Glück im Radio. Lange Zeit wusste ich gar nicht, wie der Mensch hinter der Stimme aussieht, der da im für mich damals unerreichbaren Norwegen aufgewachsen ist. Das war in den frühen Achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Die Menschen schrieben sich noch Briefe mit Bedacht. Und so drängte mich damals der Impuls, unbedingt Norwegisch lernen zu wollen um Ihnen eines Tages verständlich schreiben zu können, wie tief Sie die weit entfernt lebenden Menschen mit Ihrer Stimme berühren.

Es macht einen entscheidenden Unterschied, durch was ein Mensch jemand anderem erliegt.

Morten Harket steht bekanntlich für mehr als „nur“ für seine unverkennbare Stimme. Ich weiß, dass Sie ungern auf Ihr göttliches Gesicht und Ihren klar definierten Körper angesprochen werden. Dennoch werden bei Ihrem Auftritt Frauen wie Männer noch immer sprachlos – denn Sie erinnern sie durch Ihre Erscheinung an die eigenen Unzulänglichkeiten.

Trotz der Gottesgleichen Anbetung, die Ihnen seit Jahrzehnten widerfährt, wirken Sie, als wären Sie nie ganz mit sich zufrieden. Vielleicht liegt gerade darin das Geheimnis für Ihre ungebrochene Anziehungskraft.

Obwohl Sie schon früh einen Klavierlehrer hatten, haben Sie Noten nie in Ekstase versetzt. Viel leidenschaftlicher haben Sie einfach nach Gehör gespielt und damit sogar Dirigenten hinters Licht geführt. Zum Glück waren Sie schon früh besessen von der Musik. Und so war es wohl vorhersehbar, dass Sie damals, David Bowie hatte bereits seine Spuren

Morten Harket – Brother (Spellemannprisen 2013)

hinterlassen, an Ihrem 23. Geburtstag in die Band „a-ha“ eingestiegen sind.

Schnell wurdet ihr zu Superstars. Die vergangenen dreißig Jahre sind Geschichte. Und doch habe ich Ihnen die Rolle als Pop Idol nie so ganz abgenommen.

Die endgültige Gewissheit darüber erlangte ich erst später, als ich Sie auf einem Ihrer Solokonzerte erlebte.

Die außerordentliche Kraft in Ihrer Stimme, die selbst dann noch präsent ist, wenn Sie den Übergang zum Falsett spielend zu bewältigen scheinen, diese Magie lässt jeden aufmerksamen Zuhörer fliegen.

Das sind die Momente, in denen ich wünschte, ich befände mich nicht in der Halle eines Popkonzertes, in der kreischende Menschen Ihnen bestenfalls vereinzelt aufmerksam zuhören. Sofort befällt mich dann nämlich das ungute Gefühl des Fremdschämens. In diesen Momenten gehören Sie in meiner Wunschvorstellung auf die Bühne einer Philharmonie, in der Zuschauer ihre Gefühlsausbrüche mit Taktgefühl äußern.

Ich weiß nicht, wie es einem Farinelli abseits der Bühne so erging. Der Preis war seinerzeit sicherlich für ein Menschenleben zu hoch. Aber gelegentlich, wenn ich Ihnen zuhöre, wie Sie sich mit Ihrer Stimme in schwindelerregende Höhen schrauben, stelle ich mir vor, wie Sie in früheren Zeiten wohl gelebt hätten.

Aber zum Glück währt Ihr Leben jetzt.

Zu einer Art  Papageno hätten Sie ohnehin nicht getaugt. Bleiben Sie doch trotz Ihrer gewaltigen stimmlichen Präsenz immer ein wenig der Welt entrückt und daher nicht greifbar.

Doch wenn es jemand aus der schreibenden Zunft schafft, Ihnen intelligente Fragen zu stellen, dann zeigen Sie sich nicht selten voller

Humor, der den Zuhörer erahnen lässt, wie viel lieber Sie einem tiefgründigen Gespräch auf Augenhöhe einer Vergötterung den Vorrang geben.

Tränen – bei Männern und Frauen – sind nicht ungewöhnlich während Ihrer Konzerte.

2010 waren es weltweit Tränen der Trauer, denn „a-ha“ löste sich nach einem Vierteljahrhundert auf. Obwohl die meisten eurer Songs schon immer von Melancholie durchdrungen waren, war das letzte Konzert in Oslo für Viele schwer zu ertragen. Ein Lebe wohl!  Kein Auf Wiedersehen.

Wisst ihr denn nicht, wie schwer es ist, sich von Lebenden für immer verabschieden zu müssen?

Doch dann hatte das Leben doch noch einmal das unmöglich Geglaubte mit euch vor. Rio sei Dank! Zum dreißigjährigen Jubiläum von „a-ha“ habt ihr im Geheimen neue Songs produziert. Doch dieses Album bedeutet kein Zusammenkommen bis in alle Ewigkeit, lasst ihr zugleich verlauten. Und damit ist er wieder da, der Abschiedsschmerz. Das Zuckerbrot und Peitsche Prinzip.

Lieber Morten Harket, Ihre Entrücktheit wirkt wie ein Melodrama. Ihre melancholischen Texte treffen mitten ins Herz. Und Ihre klare Stimmführung berührt zeitlos die Seele. Der, der sich mitreißen lässt, fliegt mit Ihnen ins Nirwana. Ganz besonders, wenn Sie in Ihrer Muttersprache singen.

Vielleicht sollte ich doch noch einmal den seit 30 Jahren gärenden Impuls aufgreifen und Norwegisch verstehen lernen. Denn vielleicht wäre es dann möglich, dem mysteriösen Morten Harket noch ein Stück näher zu kommen. Natürlich ohne den Mythos dabei zu entzaubern.

Doch bis dahin kann ich vorerst nur hoffen: “Stay on these roads, Morten. We will meet, I know. So stay on!”